Maximale Polizeidichte
Im Baskenland kommen neun Beamte auf 1000 Einwohner. Nahezu t?glich Razzien und Verhaftungen von Aktivisten der Unabh?ngigkeitsbewegung
Euskal Herria (Land der Basken), wie die sieben baskischen Provinzen diesseits und jenseits der Pyren?en auf baskisch hei?en, weist die h?chste Polizeidichte in Europa auf. Auf 1000 Einwohner kommen neun Beamte. In D?nemark sind es zwei, in Deutschland drei, im spanischen Staat vier. Das gibt eine Vorstellung davon, was in dem kleinen Land am Golf von Biskaya f?r Zust?nde herrschen. Der erst unl?ngst angetretene sozialdemokratische Ministerpr?sident dreier zur Autonomen Baskischen Gemeinschaft zusammengefa?ter Provinzen, Patxi Lopez, hat sogar noch eine personelle Verst?rkung der Polizeikr?fte in Aussicht gestellt.
Das ist die Antwort auf den wachsenden Unmut gro?er Teile der Bev?lkerung gegen die Politik des Francostaates in neuem Outfit. Es ist der Unmut einer Bev?lkerung, der das Leben in einer solidarischen Gemeinschaft mit anderen V?lkern in der spanischen Republik von den Faschisten unter Francisco Franco (1939 bis 1975) mit milit?rischen Mitteln verwehrt wurde. Es ist der Unmut von Menschen, die sich nicht damit abfinden, da? der spanische Staat seine Gewaltstrukturen im Baskenland auch nach dem Tod des Diktators im Dezember 1975 aufrecht erhalten hat.
In den vergangenen Jahren sind im Baskenland f?nf politische Parteien und einige Dutzend Wahllisten verboten worden. Zwei Tageszeitungen und ein Radiosender wurden geschlossen. 772 politische Gefangenen sitzen in den Kn?sten. Das sind mehr Inhaftierte als im Francofaschismus. Kein Tag vergeht, an dem die Nachrichten im Radio oder in den Zeitungen nicht von neuen Verhaftungen berichten. In fast jeder Familie der knapp drei Millionen Basken ist ein Mitglied in irgend einer Form von Repressalien betroffen. Die Behandlung der Gefangenen in den m?glichst weit vom Heimatort entfernten spanischen Gef?ngnissen ist grausam und entw?rdigend, Folter ist an der Tagesordnung. Dies ist auch in den entsprechenden Jahresberichten von Amnesty International nachzulesen.
In den Volkstavernen ?Herriko Tabernak? der linken baskischen Unabh?ngigkeitsbewegung, von denen es in jeder Gemeinde mindestens eine gibt, hingen bis dato die Fotos der aus dem jeweiligen Ort oder Stadtteil stammenden politischen Gefangenen. Darunter fand sich die jeweilige Knastanschrift als Ermunterung, den Eingesperrten Briefe in ihre ?schwarzen L?cher? zu schreiben. Die nun sozialdemokratisch gef?hrte Polizei ist dazu ?bergegangen, in die Volkstavernen einzudringen und die Fotos zu entfernen. Die Bilder der Gefangenen seien eine Verherrlichung des Terrorismus, so die Begr?ndung. Dabei sind viele der meist jungen Leute nicht einmal verurteilt worden. Es ist durchaus ?blich, da? Jugendliche, die sich in der linken Unabh?ngigkeitsbewegung engagieren, bei Einsch?chterungsrazzien einfach mitgenommen werden. Sie sitzen dann jahrelang ohne ordentliches Gerichtsverfahren im Knast und werden kurz vor Ablauf der maximalen Untersuchungshaftfrist ohne Anklagepunkte wieder auf freien Fu? gesetzt. Das bedeutet in den meisten F?llen vier Jahre Haft ohne die geringste Aussicht auf Entsch?digung.
Auch im franz?sischen Teil des Baskenlandes nimmt die Repression zu. Jeden Tag kommt es zu Razzien der Gendarmerie. Eine Reihe von Aktivisten der linken Unabh?ngigkeitsbewegung sind unter omin?sen Umst?nden verschwunden. Zum Beispiel Jon Anza, der einen Zug bestieg, um zu Freunden zu fahren, aber nie am Zielort ankam. (junge Welt berichtete)
Das v?llige Ausschalten der eine b?rgerliche Demokratie charakterisierenden Gewaltenteilung ist im spanischen Staat ein Fakt. Die im Ausland kaum beachtete Manipulation der Wahlen zum Europaparlament im Juni, mit der der Einzug der Liste ?Iniciativa Internacionalista Solidaridad entre Pueblos? verhindert wurde, ist ein weiteres Beispiel. All das f?hrt aber nicht zu einem Aufschrei der Entr?stung bei den Nachbarn der sogenannten Europ?ischen Gemeinschaft. Im Gegenteil. Der Europ?ische Gerichtshof f?r Menschenrechte hat die spanische Repressionspolitik mit seinem Urteil zum Verbot der baskischen Linkspartei Batasuna am 30. Juni ausdr?cklich unterst?tzt. Einstimmig erkannten die Richter an, da? die spanische Regierung, ?den sozialen Frieden bedrohende und den Terrorismus f?rdernde Parteien? durch ein Verbot aus dem Wege schafft. Dieser Vorgang kennzeichnet auch den Charakter dieser EU, die die Judikative instrumentalisiert ? sicher nicht nur um die Basken in Schach zu halten.
* Leseempfehlung: Ingo Niebel: Das Baskenland ? Geschichte und Gegenwart eines politischen Konflikts. Promedia, Wien 2009, 240 Seiten, 17,90 Euro
Erstver?ffentlichung: Stefan Natke in Junge Welt vom 8.7.2009
Nachtrag (GARA, 11. Juli 2009): am 10. Juli 2009 werden acht von zw?lf jungen Leuten, die bei einer der oben beschriebenen Einsch?chterungsrazzien im Jahre 2005 verhaftet wurden, endlich freigesprochen. Die meisten von ihnen haben inzwischen mehr als 1 Jahr im Gef?ngnis verbracht. Die Mehrheit hat Folter w?hrend der Verh?re angezeigt. Vier Jugendliche wurden wegen Zusammenarbeit mit ETA zu je sechs Jahren Gef?ngnis verurteilt, eine Strafe, die meist verh?ngt wird, wenn nichts Konkretes ?ber eine solche angebliche Zusammenarbeit bekannt ist.
Mehr als 116 solcher “Pr?ventiver Verhaftungen” in sieben Polizeioperationen gab es w?hrend der ersten beiden Jahre nach Einf?hrung dieser Razzien im Jahre 2003 (dem Beginn einer Serie von Verboten von Parteien und Organisationen).