Non dago Jon Anza? Wo ist Jon Anza?

22.07.2009 | Uschi Grandel

Was habt Ihr mit ihm gemacht?

Auf diese Frage reagieren spanische und franz?sische Politiker und die Polizeieinheiten im Baskenland mit zunehmender Aggressivit?t. Am Wochenende wurde im baskischen St?dtchen Villabona ein junger Mann brutal geschlagen, verhaftet und erst nach Stunden wieder freigelassen, weil er den Polizeieinheiten, die beim ?Fiesta de la Cerveza (Bierfest)? in Villabona die Fotos der baskischen politischen Gefangenen abmontierten, entgegen rief: ?Was habt ihr mit Jon Anza gemacht??

Gewaltt?tig geht die Polizei seit Wochen gegen jedwede Solidarit?tsbekundung mit den fast 800 baskischen politischen Gefangenen vor. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Polizei maskiert und bewaffnet in Kneipen oder auf einem der vielen Sommerfeste in die St?nde eindringt, um die dort aufgeh?ngten Bilder der Gefangenen zu beschlagnahmen. Es vergeht aber auch kaum ein Tag, ohne dass sich in kleinen D?rfern dutzende, in gr??eren St?dten Hunderte und mehr Menschen versammeln, um gegen Unterdr?ckung und f?r ihre Rechte zu demonstrieren.

Auf allen Kundgebungen der letzten Wochen forderten die Demonstranten von der spanischen und der franz?sischen Regierung Rechenschaft ?ber den Verbleib von Jon Anza: Wo ist Jon? Was habt Ihr mit ihm gemacht? Denn seit ?ber zwei Monaten ist der Baske Jon Anza, ehemaliger politischer Gefangener und Fl?chtling, der im franz?sischen Teil des Baskenlands lebte, verschwunden. Am 18. April stieg er in einen Zug nach Toulouse, um dort nie anzukommen.

?Wir bef?rchten, dass sie Jon etwas angetan haben k?nnten?

In einem Aufruf schreibt die Anti-Repressionsgruppe Pro Amnist?a, die fast in jedem Ort im Baskenland vertreten ist und gro?e Unterst?tzung in der Bev?lkerung genie?t:

?Die Situation im Baskenland ist bestimmt durch Verfolgung und Unterdr?ckung, ohne dass ein Ende absehbar ist. Menschen in ?Incommunicado? Haft (inhaftiert ohne Kontakt zur Au?enwelt) werden grausam gefoltert, in den letzten Jahren wurden zwei Tageszeitungen verboten und geschlossen, verschiedene politische Parteien und Organisationen wurden verboten. Verbote von Demonstrationen und Veranstaltungen geh?ren mittlerwiele zur Tagesordnung, oft begleitet von brutaler Polizeigewalt. Es gibt derzeit 740 baskische politische Gefangene, die auf Gef?ngnisse in ganz Spanien und Frankreich verteilt sind (man nennt diese Politik ?Zerstreuung?). Gefangene werden auch dann nicht entlassen, wenn sie Krebs haben oder eine andere unheilbare Krankheit. Mehreren Gefangenen wurde die Strafe willk?rlich um zehn Jahre verl?ngert, nachdem sie ihre urspr?ngliche Strafe vollst?ndig abgesessen hatten. Die Zahl derjenigen, die sich f?r ausschlie?lich politische Aktivit?ten im Gef?ngnis befinden, steigt.

Verwandte und Freunde von Gefangenen m?ssen jedes Wochenende tausende Kilometer weit fahren, nur um ihre Lieben zu besuchen. Die Politik der Zerstreuung hat verheerende Konsequenzen. Alle 15 Monate stirbt ein Angeh?riger oder ein Freund auf dem Weg zu oder von einem Besuch; jedes Jahr stirbt ein politischer Gefangener im Gef?ngnis.

Was der Staat mit dieser Politik der Unterdr?ckung und Verfolgung bezweckt, ist klar: die Zerschlagung der baskischen Unabh?ngigkeitsbewegung. Nicht zufrieden damit, den Basken die elementarsten demokratischen Rechte zu verweigern, f?hren sie mit allen ichnen zur Verf?gung stehenden Mitteln Krieg gegen einen Teil der Bev?lkerung, gegen diejenigen, die f?r die Unabh?ngigkeit des Baskenlandes arbeiten.

In diesem Kontext ist der baskische politische Fl?chtling Jon Anza verschwunden. Es sind nun mehr als zwei Monate vergangen, seit er den Zug in Baiona bestieg, um nach Toulouse zu fahren. Seither fehlt von ihm jede Spur. Es gab in der Vergangenheit F?lle, in denen baskische Aktivisten verschleppt, gefoltert und ermordet wurden. Wir bef?rchten, dass sie Jon etwas angetan haben k?nnten. Wir fordern eine Aufkl?rung des Falles. Die Verantwortlichen m?ssen zur Rechenschaft gezogen werden. Mit jeder Stunde, die vergeht, wird der Schatten des schmutzigen Krieges (so nannte man die vom Staat organisierte, illegale Entf?hrung und Ermordung baskischer Aktivisten in den 80er Jahren) l?nger.

Wir mahnen nachdr?cklich, die Strategie von Krieg und Unterdr?ckung zu beenden und eine echte politische L?sung des Konfliktes zu suchen. Unterdr?ckung wird die politischen Probleme in diesem Land nicht verschleiern, gel?st werden diese Probleme nur durch politische Verhandlungen und ein politisches Abkommen.?

(Das Foto zeigt ein Bild Jon Anzas. Den Hintergrund bilden Ereignisse des schmutzigen Krieges der Vergangenheit. Das Originalplakat wurde verkleinert und der spanische Text ins Deutsche ?bersetzt.)

>>>> Erstver?ffentlichung auf Indymedia, 22.7.2009

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Chronologie der Ereignisse (Stand vom 17. Juli):

18 April 2009 Jon Anza ist verschwunden

15 Mai 2009 Die Familie gibt das Verschwinden bekannt.

19 Mai 2009 ETA erkl?rt ?ffentlich, dass Anza nicht zu einem Treffen mit der Organisation erschienen ist und macht die spanische und franz?sische Regierung f?r sein Verschwinden verantwortlich.

20 Mai 2009 Der spanische Innenminister P?rez Rubalcaba bezeichnet die Anschuldigung der ETA als ?L?ge?.

22 Mai 2009 Die linke baskische Unabh?ngigkeitsbewegung und die Gruppe Pro Amnist?a bekr?ftigen auf einer Pressekonferenz in Baiona (franz: Bayonne), dass die ?glaubhafteste Hypothese eine Entf?hrung durch staatliche Stellen? sei. In den letzten Monaten waren F?lle der Entf?hrung und Bedrohung baskischer ehemaliger politischer Gefangener durch spanische Dienste bekannt geworden.

23 Mai 2009 Freiwillige Helfer haben die Gegend zwischen Baiona und Toulouse abgesucht. Sie haben Fotos an jeder Bahnstation im Umkreis aufgeh?ngt. Auf einer ersten Kundgebung in Hendaia forderten sie Aufkl?rung dar?ber, was passiert war.

28 Mai 2009 Die Staatsanwaltschaft informiert, dass die Videoaufzeichnungen der betreffenden Bahnh?fe nicht gespeichert worden sei.

29 Mai 2009 Tausende B?rgerinnen und B?rger stellen auf den Manifestationen, zu denen Etxerat, die Organisation der Familien der baskischen, politischen Gefangenen, an jedem letzten Freitag des Monats aufruft, die Frage nach dem Verbleib von Jon Anza.

13 Juni 2009 Koldo Anza nennt das Verschwinden seines Bruders vor 4.000 Demonstranten in Donostia eine ?neue Etappe des schmutzigen Krieges im 21. Jahrhundert? und erinnert an Basken, die in den 80er Jahren im Auftrag des spanischen Staates entf?hrt und umgebracht wurden. Dies war als ?schmutziger Krieg? bekannt.

16 Juni 2009 Der spanische Innenminister Alfredo P?rez Rubalcaba meldet sich erneut zu Wort und besteht darauf, nichts mit dem Verschwinden Jon Anzas zu tun zu haben. Stattdessen unterstellt er, der schwerkranke Mann habe sich mit Geldern der ETA aus dem Staub gemacht.

Juni-Juli 2009 Das Bild des verschwundenen Aktivisten und die Frage ?Wo ist Jon?? sind auf jedem der vielen Sommerfeste im Baskenland pr?sent. In vielen Orten finden Protestdemonstrationen statt.